Texte von Carsten Schneider

Dussmann-Kritiker-Preis
Einst ward mir das Glück beschieden, einen Preis zu gewinnen für die Rezension eines Buches über den Dichter Heinrich Kleist. Erste Auflage, erschienen im Piper Verlag München 2004. Hier mein Text:
Heinz Ohff: „Heinrich von Kleist. Ein preussisches Schicksal“
Auf 200 Seiten erzählt Heinz Ohff über Heinrich v. Kleist und betrachtet dessen Leben, Werk und Wirkung. In plauderhaftem Ton fügt der Autor Interessantes und Bekanntes zusammen. Leider gelingt es Ohff nicht, bis zum Untertitel seines Buches vorzustoßen und „ein preussisches Schicksal“ herauszuarbeiten. Obwohl das Buch – laut Klappentext – „mit gewohnter Meisterschaft“ verfaßt ist, könnte es selbst als Einführung zu Kleist nicht überzeugen. Zu ungenau bleibt Ohff in seinen Recherchen. Fußnoten wären mitunter hilfreich. Diese fehlen schon bei Kleists Geburt: Ohff gibt den 19. Oktober 1777 an, obgleich bis heute unklar ist, ob Kleist am 10. oder 18. Oktober geboren wurde. Zu selten geht der Autor ins Detail. Ohff berichtet zwar, wie Kleist einen Räuber von der Kutsche peitschte, erwähnt aber nicht den Brief, in dem Kleist schreibt, daß der Kutscher den Räuber peitschte (an Fr. v. Massow, 1793).
Doch Ohff weiß auf andere Weise zu unterhalten. Fast beiläufig streut er bisher unbekannte Sensationen ein. Demnach starb Schiller nicht 1805, sondern war 1807 (!) noch am Leben, als Kleist einen Verlag in Dresden gründete. Ohff schreibt „Goethe und Schiller finden die gewagte Sache interessant. Auf die Briefe aus Dresden allerdings, die sie um ein paar Beiträge, Gedichte oder Prosa, bitten, reagieren sie nicht. Die beiden Berühmtheiten sind anderweitig wohl weitgehend überlastet“. Ohne zu klären, womit Schiller überlastet war, spielt der Autor den nächsten Trumpf aus: „Das Ehepaar Hardenberg besitzt einiges Unveröffentlichtes ihres im Jahre 1772 erst achtundzwanzigjährig verstorbenen Verwandten, des Dichters Novalis“. Bisher wurde Novalis 1772 geboren. Da blüht uns eine neue Romantikdebatte.
Mitunter verliert Ohff den Faden. Er schreibt kommentarlos: „Es wird nicht das letzte Mal sein, daß die Deutschen einen Krieg verlieren und dadurch einen Anstieg des kulturellen Lebens erfahren.“ Weiter unten entstellt Ohff das Zitat „Heil! Heil! Heil!“ aus „Prinz von Homburg“ (Akt 4,11) mit den undeutlichen Worten „das ging damals noch“. O tempora, o Ohff!
Im letzten Kapitel erwartet den Leser ein lustiges Fehlersuchspiel. Dort ist Kleists Grabstein zu sehen, darauf die Zeile „Er lebte sang und litt“. Ohff aber resümiert: „Ob die Zeile ‚er lebte lang’ für einen so früh Vollendeten passend erscheint, mag dahingestellt bleiben“. Wohin gestellt?
Das Buch lag beim Lesen gut in der Hand, es hat ein Lesebändchen, und auf dem Schutzumschlag sieht man ein Bild, von dem man nicht weiß, ob es Kleist darstellt. Denn wer weiß schon, wie man Kleist darstellt?
