Wortbilder
Poesie aus Zeitungspapier
Poesie aus dem Fundus der Presse
Meine "Wortbilder" sind das Ergebnis einer jahrzehntelang gewachsenen Auseinandersetzung mit dem Medium Zeitung und seinem spezifischen Material, dem Zeitungspapier. In der Tradition der Collage, die Künstler wie Kurt Schwitters mit seinen "Merzbildern", Raoul Haussmann und Hannah Höch mit ihren prägnanten Text-Fotomontagen im Dadaismus revolutionierten, entwickle ich eine einzigartige Form der Wort-Assemblage. Was sich dem Blick scheinbar mühelos zu einem visuellen Ganzen fügt, entspringt einer intensiven Sammelleidenschaft und einer akribischen Auswahl kleinster Textelemente – mein Archiv umfasst mittlerweile mehr als 300.000 Zeitungsausschnitte in über 250 Kategorien.
Diese ausgewählten Wortfragmente und Überschriften werden nicht zufällig kombiniert, sondern in einem präzisen Prozess arrangiert, um semantische Resonanzen und visuelle Harmonien zu erzeugen. Die finale Gestaltung in Reliefform verleiht diesen weltweit singulären Wortgebilden eine zusätzliche, haptische Dimension, die ihre Beschaffenheit unterstreicht.
Jede der hier gezeigten Collagen vereint Ausschnitte aus jeweils einem Zeitungshaus, darunter renommierte Titel wie "Die Zeit", "Die Welt", "Bild-Zeitung", "Frankfurter Allgemeine", "Berliner Tagesspiegel", "Berliner Zeitung", "Schleswig-Holsteinische Landeszeitung" und "The New York Times". Die Dimensionen der Werke spiegeln dabei den immensen Zeitaufwand wider: Größere Arbeiten ab zwei Metern in der Breite erfordern eine Sammelzeit von mindestens 15 Jahren, gefolgt von einer etwa dreimonatigen Klebephase. Kleinere Formate entstehen entsprechend schneller. Bei vielen Werken ist die jeweilige Sammelzeit dezent vermerkt.
Viele meiner Wortbilder können als eine Form von Lyrik oder als Visuelle Poesie gelesen werden und stehen in der Nähe der Konkreten Poesie, die ebenfalls mit der visuellen Präsentation von Sprache experimentiert.
Eine besondere Erweiterung meiner Wortcollagen findet sich in
audiokünstlerischen Geschwisterwerken, die einige der grundlegenden Ideen in das Medium Hörspiel übertragen. So existiert zur Zeitungscollage "Die Nomen eines Monats im Tagesspiegel" die Originaltoncollage "Die nachgerichteten Nomen eines Monats im Deutschlandfunk". Diese
klangliche Transformation der gesammelten Wortfragmente eröffnet eine weitere Ebene der Auseinandersetzung mit Sprache, Zeit und medialer Präsentation.
"Ein Wort mußte für mich ein Ereignis an sich sein und
durfte daher von keinem anderen Ereignis abhängen."
Aus dem Roman Zeno Cosini von Italo Svevo. Übersetzung Piero Rismondo
Serie: Nichts in der Zeitung
Die profunde Stille des Nichts
Dies folgende Serie, "Nichts in der Zeitung", ist eine vierteilige Auseinandersetzung mit dem scheinbar Allgegenwärtigen und doch so schwer Fassbaren: dem Nichts. Jede der vier gleichformatigen Collagen (84 x 60 cm) präsentiert das über viele Jahre aus der F.A.Z., dem Berliner Tagesspiegel, der Zeitung "Die Welt" und der "Zeit" gesammelte und ausgeschnittene Wort "Nichts"; hinzu kommen leere, unbedruckte Zeitungsausschnitte, die dasselbe zeigen: Nichts. Sie sehen Nichts.
Angelehnt an die Ästhetik von Kirchenfenstern, bei denen feine Bleiruten die einzelnen Glasstücke verbinden, werden die erhabenen Zeitungsausschnitte (sie sind auf 1,5 mm hohe Triplexpappe kaschiert), durch schmale Lücken voneinander getrennt – auch hier: Nichts. Während traditionelle Kirchenfenster durch farbiges Licht religiöse Botschaften vermitteln, filtern diese Arbeiten das weltliche "Nichts" und stellen so eine Verbindung zwischen dem Flüchtigen der Tagesnachrichten und der tiefgründigen Frage nach dem Sein und Nichtsein her.
Diese Serie ist Teil einer umfassenderen künstlerischen Recherche, die sich in meinem Faltretabel "Alles-Nichts-Altar" und den Hörspielen "Wir sagen nichts", "Keine Meldung im Deutschlandfunk" und "Der Atem eines Tages im Deutschlandfunk" fortsetzt. Betrachten Sie diese Collagen als Einladung, über die Bedeutung von Absenz in unserer informationsreichen Welt nachzudenken. Oder auch nicht. Die Serie wird fortgesetzt.
Wortbilder im Dialog mit Originaltönen
Die 28 in dieser Rubrik präsentierten "Wortbilder" sind einzigartige visuelle Kompositionen aus akribisch gesammelten und arrangierten Zeitungsausschnitten. Was sie besonders macht, ist ihre enge Verbindung zu einer Serie von Originaltonhörspielen mit dem Titel "Die Konstruktion des Deutschlandfunks".
In einem parallelen, zeitaufwendigen Prozess werden Sendematerialien des Deutschlandfunks nach spezifischen klanglichen oder grammatischen Aspekten zerlegt, geordnet und zu überraschend poetischen Klangtexturen komponiert. Diese auditiven "Geschwister" der Wortbilder teilen oft die gleichen thematischen oder formalen Ausgangspunkte.
So entsteht ein faszinierendes Zusammenspiel zwischen Schriftbild und Wortklang, zwischen visueller Poesie und phonetischer Erkundung. Die Betrachtung der Wortbilder kann durch das Hören der entsprechenden Originaltoncollage eine zusätzliche, klangliche Dimension erfahren – eine einzigartige Verschränkung von Sehen und Hören, die die Wahrnehmungsebene erweitert und zu neuen Assoziationen einlädt.
Von diesem Hörspiel liegt hier nur ein kurzer Ausschnitt vor, die Gesamtdauer beträgt eine Stunde.
The und-pun
Die visuelle Verwandlung eines Wortes
"The und-pun", eine Werkgruppe, in der die unscheinbare deutsche Konjunktion "und" eine überraschende Metamorphose erfährt. Jede dieser Zeitungscollagen ist eine Ansammlung hunderter, präzise positionierter "und"-Fragmente aus jeweils einer deutschen Zeitung.
Doch die epische Monotonie birgt ein visuelles Wortspiel: Wendet der Betrachter das Bild um 180 Grad, enthüllt sich auf wundersame Weise das englische "pun". In dieser einfachen Drehung verschmelzen zwei Sprachen und zwei Bedeutungsebenen. Das allgegenwärtige "und", das verbindet und fortsetzt, transformiert sich in den "pun", englisch für "das geistreiche Wortspiel", das zum überraschenden Perspektivwechsel einlädt.
"The und-pun" ist somit mehr als eine visuelle Wiederholung; es ist eine spielerische Reflexion über die Vielschichtigkeit von Sprache, die Bedeutung von Perspektive und die überraschenden Verbindungen, die in der scheinbaren Eindeutigkeit von Wörtern verborgen liegen. Diese Collagen fordern dazu auf, genauer hinzusehen und die verborgenen Potenziale der sprachlichen Form zu entdecken – eine Einladung zum visuellen und intellektuellen Drehsinn.
Weitere Wortbilder
die: Eine Collage der Vergänglichkeit
In diesen Wortbildern begegnet dem Blick auf jedem Zeitungsstreifen, in jedem sorgfältig gewählten Ausschnitt unzählige Male das deutsche Wort "die". Eine scheinbare Wiederholung, die jedoch eine tiefere, englischsprachige Konnotation in sich birgt: "die" – sterben, vergehen.
Diese Collagen sind ein visuelles Gedächtnis der inhärenten Vergänglichkeit, die dem Medium Zeitung eingeschrieben ist: Die tagesaktuellen Meldungen verlieren ihre Relevanz, erkalten und veralten. Das Papier selbst, einst Träger dringender Nachrichten, wird zerknüllt, zerknittert, verwittert und schließlich verweht es und vergeht es.
Die Veränderungen in der Medienlandschaft spiegeln diese Flüchtigkeit wider: Journalisten werden entlassen, Redaktionen geschlossen, Druckhäuser eingestellt. Das vielfache "die" auf der Oberfläche der Collagen wird so zum stillen Echo dieses unaufhaltsamen Prozesses des Vergehens – eine visuelle Poesie der Transformation und des Abschieds.
Alles-Nichts-Altar
Wie ein Echo aus einer anderen Zeit erhebt sich der "Alles-Nichts-Altar", ein Triptychon, dessen geschnitzter Holzrahmen die lapidare Inschrift "NIX" trägt – die Essenz des großen Nichts, das im Zentrum dieses ungewöhnlichen Klappaltars steht. Anstelle sakraler Ikonen offenbart sich eine Oberfläche, die von der Flüchtigkeit des Augenblicks zeugt: Zeitungsausschnitte, Fragmente einstiger Nachrichten, die nun in neuer Konstellation eine tiefere Wahrheit enthüllen. Geschlossen präsentiert die Front hundertfach die Worte "Alle" und "Alles", eine Omnipräsenz, die auf der Rückseite in ein Meer schwarzer Zeitungspartikel mündet. Doch mit dem Aufklappen offenbart sich das eigentliche Paradox: Auf drei Flächen erscheinen unmissverständlich die Worte "Nicht" und "Nichts". Jeder dieser unscheinbaren Zeitungsschnipsel war einst Träger einer bedeutenden Meldung, doch im Laufe der Zeit ist die konkrete Information vergangen. Was bleibt, ist die reine Form, die typografische Essenz, die im "Alles-Nichts-Altar" zu einem stillen Mahnmal der Vergänglichkeit wird. In Anlehnung an die Tradition der Faltretabel, die einst Andacht und Kontemplation dienten, lädt dieses Werk zur Reflexion über die Natur der Information, ihre Halbwertszeit und das unaufhaltsame Verblassen des Gewesenen ein. Es ist eine typografische Collage, die die Geschichte der Nachrichten selbst in ihre Einzelteile zerlegt, um im Resultat die universelle Leere zu offenbaren: NICHTS.
Die unteren Photographien zeigen den aufgehängten Zustand und wurden 2017 aufgenommen in der Berliner Akademie der Künste vom Photographen Jan Kuhlke.
Erde, ich werde Deine Liebe beweinen
Gesetztes
Serie kostbarer Überschriften und Zwischentexte
Wort-vor-Bild-Collagen
Fundstücke
Serie: Doppelte Falschmeldung
Dies ist eine Sammlung von ganz gewöhnlichen Zeitungsausschnitten. Nichts wurde geklebt oder hinzugefügt. Hier wurden lediglich durch beherzten Schnitt die ursprünglichen Nachrichtenartikel entfernt. Dadurch gehört die Überschrift nun scheinbar zu dem Bild, unter dem sie steht. Aus dieser unfreiwilligen Verbindung von Text und Bild entstehen groteske, absurde oder überraschende Zusammenhänge. Dies ist ein Blick auf die unfreiwillige Komik und die skurrilen Seiten der Welt, eingefangen als "doppelte Falschmeldungen".
Die Ausschnitte stammen aus verschiedenen Zeitungen wie WELT, Tagesspiegel, SH/Z und weiteren.
Sammlung: Wortschatz
Zeitungsausschnitte -
auserlesen und aufgeklebt
Gesammelt ward und wird kontinuierlich seit 2005:
Die Welt
Die Zeit
The New York Times
Bild-Zeitung
Tagesspiegel (bis 2022)
Süddeutsche Zeitung
Frankfurter Allgemeine
Schleswig-Holsteinische Landeszeitung
Diese Sammlung umfasste mehr als 300.000 Stücke. Bei einem Wasserrohrbruch 2025 in der Wohnanlage über meinem Atelier wurde ein Teil der Sammlung vernichtet.
(Stand April 2025)